Macht und Partizipation
„Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Sie kann ihren Sendungsauftrag nur erfüllen, wenn sie sich der Krise stellt und ernsthaft an einer Lösung arbeitet. Die Krise ist nicht von außen in die Kirche hineingetragen worden, sondern in der Kirche selbst entstanden. Sie resultiert aus starken Spannungen zwischen der Lehre und der Praxis der Kirche, aber auch zwischen der Art und Weise, wie Macht in der Kirche ausgeübt wird, und den Standards einer pluralen Gesellschaft in einem demokratischen Rechtsstaat, deren Berücksichtigung viele Katholikinnen und Katholiken auch in ihrer Kirche erwarten.
Im Missbrauchsskandal spitzt sich die Krise extrem zu. Die MHG-Studie [Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen…“] hat gezeigt: Sexualisierte Gewalt von Klerikern an Kindern und Jugendlichen, der Missbrauch sakralisierter Macht, die Vertuschung von Taten und der Schutz von Tätern haben systemische Ursachen. Andere Probleme, wie der geistliche Missbrauch oder die Gewalt gegen Frauen, sind bisher noch kaum aufgearbeitet. Umso wichtiger ist eine kritische Selbstbesinnung auf die Bedingungen des Machtmissbrauchs wie auf die Ansätze, die Prozesse und die Strukturen einer nachhaltigen Erneuerung.“
Synodaler Weg vor Ort
Mit diesen Worten beginnt das Arbeitspapier für die Sitzung der erweiterten Gemeinsamen Konferenz am 13./14. September 2019 in Fulda, dass eine der Vorbereitungsforen zum Synodalen Weg erarbeitet hat. Zu jedem der vier Synodalforen („Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“; „Priesterliche Existenz heute“; „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“; „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“) wurde ein solches Papier erstellt und den Mitgliedern der Synodalversammlung zugesandt.
Im Arbeitspapier sind die folgenden Fragen für das Themenfeld formuliert: „Wie ist in der Kirche Macht zu verstehen und auszuüben, wie zu organisieren, zu begrenzen und zu kontrollieren? Wie ist sie theologisch zu verantworten? Welche Rahmenbedingungen und welche Strukturen begünstigen Machtmissbrauch? Welche Rahmenbedingungen und welche Strukturen braucht es, um diesen Machtmissbrauch zu bekämpfen, schneller aufzudecken und wirksam zu verfolgen? Welcher Hilfe von außen bedarf es, um die innere Erneuerung voranzutreiben?“
Als eine Konsequenz formulieren die Mitglieder des Vorbereitungsforums: „Der zukünftige Umgang in unserer Kirche mit Macht und Gewalt braucht sowohl eine erneuerte institutionelle Gestalt, die durch Partizipation und Gewaltenteilung charakterisiert ist, als auch einen erneuerten Geist, der in der Institution das Miteinander aller Gläubigen erfasst und ihren Glauben stärkt.“
Der „erneuerte Geist“, von dem hier die Rede ist, wird nicht nur entstehen durch die Synodalversammlungen, durch die Beratungen der Foren oder durch Abschlusspapiere. Wenn sich die Verbände, Gemeinden, geistlichen Gemeinschaften und jeder Gläubige an der Erneuerung des Geistes beteiligen, kann wahr werden, was an einer anderen Stelle im Arbeitspapier so formuliert ist: „Der Synodale Weg muss selbst schon ein Schritt des Wandels sein, zu dem die Kirche von Gott berufen ist.“
Zwei konkrete Vorschläge
Skizziert werden im folgenden zwei Ideen für eine Auseinanderersetzung mit dem Thema vor Ort.
Dialog über „Kirche und Macht bei uns“
Begrüßung und Einleitung
Gebet um den heiligen Geist
Gemeinsames Lesen der folgenden Textpassage aus dem Vorbereitungspapier
„Jesus hatte Macht. In dieser Macht, die ihm Gott, der Vater, verliehen hat, hat er den Armen das Evangelium verkündet (Lk 4,18f.; Jes 61,1f.). Er hat Sünden vergeben (Mk 2,1–12 parr.) und Gottes Segen gespendet. Jesus hat seine Macht als Dienst an den Menschen eingesetzt (Mk 10,45 parr.), damit sie sich mit Gott versöhnen lassen und damit sie untereinander Frieden stiften (Mk 9,50).
Diese Macht Gottes hat Jesus seinen Jüngern übertragen, Männern wie Frauen (Mk 3,14ff. parr.; 6,6b–13 parr.; Lk 10,1–16). Er hat sie geschult, damit sie das Geheimnis des Reiches Gottes verstehen (Mk 4,1–34 parr.). Er hat sie ausgesandt, damit sie wie er den Frieden Gottes bringen (Mt 10,12; Lk 10,5) und das Reich Gottes verkünden (Mt 10,7 par. Lk 10,9.11). Ohne die Macht, die ihnen Jesus in Gottes Namen verliehen hat, hätten sie nichts tun können. Ohne dass es in der Zeit nach Ostern zu immer neuen Berufungen und immer neuen Bevollmächtigungen von immer neuen Menschen in der Nachfolge Jesu gekommen wäre, hätte das Evangelium nicht von Generation zu Generation bis in unsere Gegenwart hinein über die ganze Welt verbreitet werden können. In der Kirche muss diese Macht Gottes im Namen Jesu kraft des Heiligen Geistes weiter ausgeübt werden – um der Menschen willen, für die sie da ist.
In der Auslegung der Evangelien ist diese Macht allerdings oft nur auf die Kleriker bezogen und als deren Privileg gedeutet worden. Beides ist falsch. Denn zum einen haben alle, die Jesus nachfolgen, am Auftrag und an der Fähigkeit teil, das Evangelium zu verkünden. Zum anderen will Jesus mit der Berufung, Beauftragung und Bevollmächtigung nicht etwa eine Elite schmieden, die sich von anderen abhebt, sondern die Voraussetzung dafür schaffen, dass alle die Menschen, die nicht ihm persönlich begegnen, sondern denen, die ihm nachfolgen, genau dieselbe Kraft der Befreiung erfahren, die er selbst im Namen Gottes ausübt.
Auch die Macht, die Jesu Jüngerinnen und Jünger aufgrund ihrer Sendung ausüben, kann nur als Dienst richtig verstanden und ausgeübt werden: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Mk 10,42-–-43 parr.; vgl. Mk 9,35 parr.).“
Zeit zum persönlichen Lesen
Verständnisfragen klären
Austausch über den Text
Impulsfragen könnten sein:
- Ist „Macht in der Kirche“ nur ein Thema von Rom und in den höheren Ebenen?
- Gibt es Machterfahrungen bei uns?
- Wie gehen wir mit der „Macht Gottes“ um?
- Wollen wir als einfache Gläubige diese Macht überhaupt annehmen?
- Welche Formen der „Gewaltenteilung“ wären bei uns heute schon in der Gemeinde umsetzbar?
- Was ist notwendig, dass bei uns ein Umdenken stattfindet?
Konkrete Vorschläge sollten visualisiert werden und solche, die heute schon umsetzbar sind, an den Pfarrgemeinderat zur Weiterarbeit / Umsetzung übergeben werden.
Wo Verletzungen und Verwundungen zu Tage treten, sollte ein Aufarbeitung stattfinden.
Abschluss: Lesen des Evangeliums von der Fußwaschung (Joh 13,1-20)
Dialog über Gleichheit bei gleichzeitiger Ungleichheit
Begrüßung und Einleitung
Gebet um den heiligen Geist
Gemeinsames Lesen der folgenden Textpassage aus dem Vorbereitungspapier
„Das Zweite Vatikanische Konzil charakterisiert die Kirche als pilgerndes Volk Gottes in der Welt auf dem Weg durch die Zeit. Alle Gläubigen sind darin verbunden. „Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2,4–10)“ (Lumen gentium 10). Das „Priestertum des Dienstes“ (sacerdotium ministeriale seu hierarchicum) hat demgegenüber eine dienende Funktion. Es stärkt und leitet das Volk, damit die Gläubigen ihre eigene Sendung in Gebet und Zeugnis, in der Darbringung der Eucharistie und in tätiger Liebe erfüllen (Lumen gentium 10). „Hierarchisch“ ist das Priestertum des Dienstes innerhalb des dreifachen Amtes des Bischofs, Priesters und Diakons, nicht im Gegenüber zum Gottesvolk, sondern im Blick auf Jesus Christus als Haupt seines Leibes. Dass das Priestertum des Dienstes sich vom gemeinsamen Priestertum, die Kleriker sich von den Gläubigen „dem Wesen, nicht dem Grade nach“ (essentia, non gradu) unterscheiden (Lumen gentium 10), weist eine hierarchisch-ständische Asymmetrie zwischen Klerikern und Gläubigen auf. Die dem Priestertum des Dienstes eigene sakramentale Vollmacht begründet demgegenüber keine soziale Überordnung, keine Standesprivilegien, keine Machtreserven. Es ist fatal, wenn dieses Verständnis einer qualitativen Überordnung weiter gepflegt und gelebt wird.“
Zeit zum persönlichen Lesen
Verständnisfragen klären
Austausch über den Text
Impulsfragen könnten sein:
- Wie verstehen wir den Ausdruck aus Lumen gentium „dem Wesen, nicht dem Grade nach“ unterscheidet?
- Wie erleben wir das hier vor Ort?
- Was ist notwendig, dass bei uns ein Umdenken stattfindet?
Konkrete Vorschläge sollten visualisiert werden und solche, die heute schon umsetzbar sind, an den Pfarrgemeinderat zur Weiterarbeit / Umsetzung übergeben werden.
Wo Verletzungen und Verwundungen zu Tage treten, sollte ein Aufarbeitung stattfinden.
Abschluss: Die Diskussion vor Ort darf nicht dazu führen, dass das Leid und die Verletzungen, die Menschen durch den (Macht-)missbrauch in der Kirche erfahren haben, vergessen wird. Damit dies nicht geschieht, folgt die Vergebungsbitte von Papst Franziskus beim Abschlussgottesdienst in Dublin am 26. August 2018.
„Gestern habe ich acht Überlebende von Machtmissbrauch, Missbrauch des Gewissens und sexuellem Missbrauch getroffen. Ihrem Wunsch entsprechend möchte ich diese Verbrechen vor die Barmherzigkeit des Herrn tragen und dafür um Vergebung bitten.
Wir bitten um Vergebung für den Missbrauch in Irland, Missbrauch der Macht und des Gewissens, sexuellen Missbrauch von Verantwortungsträgern der Kirche; besonders bitten wir um Vergebung für alle Missbräuche in unterschiedlichen Arten von Einrichtungen, die von Ordensmännern und Ordensfrauen und anderen Mitgliedern der Kirche geleitet werden. Und wir bitten um Vergebung für die Arbeitsausbeutung, der unzählige Minderjährige unterworfen wurden.
Wir bitten um Vergebung, wenn wir als Kirche den Überlebenden jedweder Form von Missbrauch nicht mit konkreten Taten Mitleid und Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit angeboten haben. Wir bitten um Vergebung.
Wir bitten um Vergebung für einige Mitglieder der Hierarchie, die sich dieser schmerzlichen Situationen nicht angenommen haben und schwiegen. Wir bitten um Vergebung.
Wir bitten um Vergebung für die Kinder, die ihren Müttern weggenommen wurden, und für die Fälle, in denen man den jungen Müttern, die versuchten, ihre Kinder ausfindig zu machen, oder den Kindern, die ihre Mütter suchten, sagte, das sei eine Todsünde: das ist keine Todsünde, es ist das vierte Gebot. Wir bitten um Vergebung.
Der Herr erhalte uns diese Haltung der Scham und der Reue und lasse sie wachsen, und er gebe uns die Kraft, uns dafür einzusetzen, dass diese Dinge nie mehr geschehen, und dass man Gerechtigkeit schaffe. Amen.“
Einladung zum Gebet
Rosalia Walter (Geistliche Leiterin) und Josef Holtkotte (Bundespräses) vom Kolpingwerk Deutschland haben ein Gebet für den Synodalen Weg formuliert. Zudem gibt es ein „offizielles“ Gebet zum Synodalen Weg. Beide Gebete findet ihr in den Links an der rechten Spalte.
Bitte betet für den Synodalen Weg, damit sich erfüllt, was die Vorbereitungskommission im hier vorgestellten Arbeitspapier formuliert: „Wir wollen, dass die Kirche wieder als der Ort erkennbar wird, an dem Menschen zu einer persönlichen Beziehung mit Jesus Christus finden und an dem sie Gottes heilende Kraft in den Sakramenten erfahren. Wir wollen, dass sich die Kirche wieder mit ihrer ganzen Kraft für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Wir wollen eine Organisation sein, deren Strukturen vom Wirken des Heiligen Geistes geprägt und mit Leben erfüllt werden.“